Vor 75 Jahren befreiten die Briten die Region

04/2020 - Am 16. April 1945 endete der 2. Weltkrieg in der Region Bomlitz. Die britische Armee hatte bei Jarlingen noch ein letztes Gefecht, nahm kampflos Benefeld ein und befreite mehrere Tausend Fremd- und Zwangsarbeiter in den Lagern der EIBIA. Die deutschen Opfer des letzten Tags sind auf dem Borger Friedhof beigesetzt, die nicht-deutschen Opfer auf dem Ehrenfriedhof in Bomlitz. Am Tag vorher hatten die Briten das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit. Bis zum 8. Mai 1945 dauerte es noch, bis in ganz Europa der Wahnsinn ein Ende hatte. Sie finden hier die Chronologie der letzten Kriegstage in der Region Bomlitz zusammengestellt aus mehreren örtlichen Quellen. 

 

Das Kriegsende 1945 in der Region Bomlitz

Die Textpassagen der angegebenen Quellen sind chronologisch zusammengestellt und wörtlich übernommen. In eckigen Klammern sind redaktionelle Ergänzungen angegeben.

 

ANFANG APRIL 1945

Alfred Keseberg: Uetzingen. Hunenburg und Loingo.

Anfang April 1945 belegten deutsche Truppen etwa zwei Wochen den Ort [Uetzingen].

Andrea Hesse: Prädikat „Bestbetrieb“ – die Eibia GmbH für chemische Produkte in Bomlitz.

Trotz der Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Kohle und Rohstoffen wurde die Produktion im Bomlitzer Eibia-Werk auch noch fortgesetzt, als sich das Kriegsende bereits deutlich abzeichnete. In dieser Zeit plante die Betriebsführung den Abtransport eines Teils der ausländischen Arbeiterschaft, um den erwarteten Plünderungen nach dem Einrücken der Alliierten zuvorzukommen; dieses Vorhaben konnte aber nicht in die Tat umgesetzt werden.

 

Donnerstag - 12.04.1945

Ortschronik Fallingbostel in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Der Kampf ist bereits bis Kirchboitzen - Düshorn-Ostenholz – vorgedrungen.

 

Samstag - 14.04.1945

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Am 14. April 1945 machten wir in Benefeld zum letzten Mal Jungvolkdienst. Ich verabschiedete meine 30 Pimpfe mit dem üblichen Gruß an den Führer und „Nach Hause weggetreten!“

Zwei Tage zuvor hatten uns die Lehrer in der Schule verabschiedet. Ohne Ansprache und Fahnenappell. Durch Walsrode rollten beschädigte Panzer, zerschossene Autos und viele abgekämpfte Soldaten gingen zu Fuß. Von fern hörte man schon Geschützdonner. An der Aller wurde um den Brückenkopf Rethem gekämpft, wie wir im Wehrmachtsbericht hörten.

In den letzten Wochen fand der Unterricht in einer Gastwirtschaft statt. Unsere Schule war von holländischen Nazis belegt. Diese waren aus Angst vor der Rache ihrer Landsleute nach Deutschland geflohen.

Die Lebensmittelläden leerten auf Anordnung der Behörden ihre Lager und es gab Sonderrationen. Säckeweise transportierten wir auf dem Handwagen von unserem Flüchtlingsopa Jäger Haferflocken, Zucker, Mehl und andere Dinge ab. Dies musste nachher auch lange reichen.

Strom und Wasser gab es nur noch stundenweise.

In der Eibia wurde weiter produziert. Sie hatte ein eigenes Kraftwerk. Als nachher in letzter Minute alles abgestellt wurde, erstarrten Nitroglyzerin und andere flüssige Sprengstoffe in den Rohren und blieben jahrzehntelang eine Bedrohung für die Bevölkerung.

Die Ausländer in Benefeld/Bomlitz wurden am 14. April unter Kriegsrecht gestellt, das hieß, keiner durfte mehr seinen Platz im Lager oder am Arbeitsplatz verlassen, bei Androhung sofortiger Erschießung. Aber was bedeutete dies schon, wenn man bedenkt, dass bei den erwachsenen Männern auf einen Deutschen einschließlich Volkssturm 6 Ausländer kamen [das Verhältnis war eher 1 zu 3].

Otto Marquardt in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Als ich mich Sonnabend morgen, den 14. April, beim Kampfkommandanten melde, berichtet dieser, wobei er mit dem Zeigefinger die Stellungen auf der Karte bezeichnet, dass eine Füselierkompanie bei Rethem schwerste Verluste gehabt habe. Am gestrigen Tage sei ein Bataillon Ungarn eingesetzt, das kampflos zum Feinde übergegangen sei. Diese Tatsache habe der Gegner benutzt, in der Gegend Hülsen über die Aller zu setzen und jetzt von Groß Häuslingen aus mit 50 Panzern vorzustoßen.

Im Laufe des Vormittags kommt die Meldung, dass der Feind mit zwei starken Divisionen bei Groß Häuslingen zum Angriff bereitstehe.

 

Sonntag - 15.04.1945

Das Konzentrationslager Bergen-Belsen wird befreit.

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Als Albert, Manne, Dieter und ich am 15. April 1945 über die Warnaubrücke nach Cordingen gingen, standen einige von diesen jungen SS Soldaten an der Brücke, bewaffnet mit Panzerfäusten und Gewehren. Sie sahen müde und erschöpft aus. Offiziere waren nicht unter ihnen. Sie erzählten uns, dass sie den Befehl hatten, bei Annäherung des Feindes die Brücke zu sprengen und sich die Warnau entlang Richtung Jarlingen abzusetzen. Sie fragten uns nach dem besten Schleichpfad die Warnau entlang dahin. So erfuhren wir, dass Benefeld nicht verteidigt werden sollte. Wozu hatten wir dann in der vorherigen Woche die Holzbarriere vor der Brücke errichtet, fragten wir uns. Wie ich kurz nach dem Einmarsch der Engländer erfuhr, hatte die Wehrmacht wohl kein Konzept mehr, das Werk zu verteidigen. Nur versprengte Einheiten von SS und Marine marschierten durch unseren Raum. Der Volkssturm war nur für die Aufrechterhaltung der inneren Ruhe vorgesehen.

Die Volksgemeinschaft Uferstraße 26 bis 32 traf sich in der Nacht zum 16. April 1945 zum letzten Mal im Luftschutzkeller. Der Tag war merkwürdig ruhig verlaufen. Das Wummern der Geschütze und Maschinengewehrgeknatter der Vortage war verstummt. Ich war von unserem Spaziergang zur Warnaubrücke zurückgekehrt und erzählte überall, dass die Soldaten nach der Sprengung der Brücke abziehen würden und Benefeld nicht verteidigt wird. Anschließend vergrub ich meine Jungvolkuniform samt Koppel, auf dem stand „Gott mit uns“, und meinem Fahrtenmesser mit der Gravierung „Blut und Ehre“. Dann half ich unserer Nachbarin, die NS-Frauenschaftsleiterin gewesen war, einen großen Stoß Papiere verbrennen.

Otto Marquardt in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Am Nachmittag ziehen die Einwohner der Holzindustrie in den Luftschutzbunker. Dieser ist bis zum Abend voll belegt, so dass ich mit meiner Frau und Tochter keinen Platz mehr finde. Greinke und Frau Bremer sind in den Ölkeller gezogen. Als ich in den Bunker hinter der Fabrik ziehen will, sind hier Fahrräder untergestellt, die Herr Greinke aber noch entfernt. In diesem Unterstand verbringen wir zu dreien die Nacht. Gegen 9 Uhr abends kreist noch ein Tiefflieger unheimlich niedrig über der Fabrik und lädt auch in nächster Nähe Bomben ab. Vielleicht bin ich in diesem Augenblick etwas nervös; ich glaube, zum ersten Mal in den letzten 14 Tagen. Ich bilde mir ein, dass jetzt noch in der letzten halben Stunde die Fabrik zerstört werden wird. Der unablässlich kreisende Flieger zerrt an meinen Nerven, so dass ich mich selbst schelte.

 

Montag - 16.04.1945

Alfred Keseberg: Uetzingen. Hunenburg und Loingo.

Im letzten Augenblick, am 16. April 1945 um 6 Uhr, wurde die Böhmebrücke gesprengt und somit Verteidigungskampfhandlungen [von Uetzingen] ferngehalten.

Otto Marquardt in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Als der Morgen graut, beschließe ich, nach Hause zu gehen, um mich noch für ein paar Stunden richtig schlafen zu legen. Ich rasiere mich, und als ich damit nahezu fertig bin, setzt so urplötzlich stärkster Gefechtslärm ein, dass ich so schnell wie nie zuvor das Rasieren beende und die Treppen herunterstürze. Der Lärm ist in allernächster Nähe. Ich höre, wie im gegenüberliegenden Hogrefe’schen Busch Granaten durch die Wipfel der Bäume rauschen und Zweige brechen. Gewehr- und Maschinengewehr-Feuer kommt aus der Gegend vom Bahnhof und liegt auf dem Weg von der Unterführung zur Straße nach Benefeld. Ich sehe nach der Uhr. Es ist 6.30 Uhr morgens. Um diese Zeit hat sich der Kampf der SS mit den Engländern am Bahnhof abgespielt. Das Brandt'sche Haus erhält einen Treffer, das Haus Hogrefe und das Steffens'sche Haus brennen aus, zwei Scheunen von Stolze werden vernichtet.

Das weitere Rückzugsgefecht spielt sich dann in Richtung Jarlingen ab, und so hat auch diese Straße, wie auch unsere Baracken, unter Gewehr- und Maschinengewehr-Feuer gelegen.

Als ich die Treppen meiner Wohnung herunterstürze und sehr eilig den Luftschutzraum unter dem Büro zu erreichen trachte, fallen Querschläger und Infanteriegeschosse auf den Hof.

Dieser Kampf war etwa 9.15 Uhr beendet. Von da ab entfernte sich das Feuer weiter nach Jarlingen, und hier ist ein Teil des Dorfes in Flammen aufgegangen.

Ich war zwischendurch in die Fabrik gegangen, von wo aus ich die Straße nach Jarlingen übersehen konnte, da die Bäume noch ohne Laub waren. Ich sah die Panzer und Autos anrollen, stellte auch plötzlich fest, dass eine Baracke eine französische Fahne gehisst hatte. Ich konnte von da herüber auch Jubel und laute Rufe vernehmen. Ich war in ernster Sorge, wie sich die Ausländer verhalten würden und beschloss, sobald einmal eine Pause in dem Vorbeimarsch der Engländer eingetreten sei, sofort nach drüben zu gehen.

Zu meiner freudigen Überraschung fand ich bei den Baracken eine erregte und freudige Stimmung, aber keine feindselige Haltung gegen mich. Die Franzosen, Polen und anderen Ausländer besprechen mit freudig erregten Mienen das Ereignis. Einige Polen bedanken sich bei mir, dass ich sie in Cordingen behalten und nicht vorher, wie es der Befehl war, ausquartiert habe.

Ich beschließe, engste Verbindung mit den Ausländern zu halten, damit ich auf diese Weise das Meinige dazu tun kann, dass unsere nunmehrige Machtlosigkeit die Ausländer nicht zu Ausschreitungen verleitet.

Nachdem die Engländer über Jarlingen weitermarschiert waren, war im Laufe des Montag verhältnismäßig Ruhe bis auf das Feuer der leichten Panzerartillerie. Es war vollkommen ungleicher Kampf. Ein kleiner Haufen Infanterie, ohne schwere Waffen, gegen Panzer, ja sogar in einzelnen Fällen Pistolenschützen gegen Panzer.

Das war Montag, der 16. April, an dem Cordingen überrollt wurde und 6 deutsche Soldaten in unserer Gemarkung (auf der Straße von Otto Hogrefe bis zur Straßenkreuzung Ebbingen-Benefeld/Cordingen-Jarlingen) ihr Leben ließen.

Ulrich Saft: Krieg in der Heimat. Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe.

Seit dem frühen Morgen tobt der Kampf am Süd- und Westrand von Fallingbostel.

Wegen der zerstörten Böhme-Brücke suchten die 1./5. „Queen's" nach einer anderen Übergangsmöglichkeit und fanden diese bei der sogenannten Pulvermühle. Von dort fuhren sie in Richtung Elferdingen-Bomlitz. (...) An der Brücke in EIferdingen trafen sie auf einen Pionierzündtrupp, der sich neugierig nach der Feindlage erkundigte. Während der Untersturmführer die Pioniere unterrichtete, waren plötzlich Ketten- und Motorengeräusche zu hören. Der Zündtruppführer wollte sofort sprengen, aber Fries winkte ab: „Erst wenn der erste Panzer auf der Brücke ist." Pioniere und SS-Grenadiere gingen hinter der kleinen Brücke, die über einen noch heute namenlosen Zufluss der Böhme führte, in Deckung. Als der erste „Bren Carrier" auf der Brücke war, detonierten die Sprengladungen.

Untersturmführer Fries erreichte wenig später Bomlitz. Auf dem Hof eines großen Fabrikgeländes ließ er seine 40 Mann antreten. (...) Er befahl: „Alles unter 18 vortreten! Soldbücher abgeben! " Zirka zwölf Grenadiere traten erstaunt nach vorn. Fries schrieb in ihre Soldbücher: „Entlassen. Bomlitz, 16. April 1945.“ Die „Entlassenen" fühlten sich ausgestoßen. Einige begehrten auf. Fries schnitt ihnen das Wort ab. „Für Euch ist der Krieg zu Ende, denn was jetzt kommt, sind endlose Strapazen bis Hamburg. Schlagt Euch nach Hause durch. Viel Glück und nun haut endlich ab!" (...) Dann verließ auch er mit seinen knapp 30 Grenadieren das weitläufige Fabrikgelände mit den überwachsenen Bunkern.

Gegen 07.30 Uhr verließen die britischen Panzer Hünzingen. Jarlingen war das einzige Dorf in der näheren Umgebung, das noch von deutschen Soldaten besetzt war. Es handelte sich um eine ca. 30 Mann starke, offenbar führerlose Gruppe des SS-Bataillons 12, die erst vor wenigen Stunden angekommen war Die SS-Grenadiere hatten einen Teil der Bevölkerung bereits bei Sonnenaufgang aus den Betten getrieben und sich eilig zur Verteidigung eingerichtet. In der Chronik „Die Geschichte unseres Dorfes" wird berichtet: „Mehrere Familien zogen zum Jarlinger Moor. Einige Familien zogen östlich der Warnau zu Wölken Busch." Herr B. berichtet über diesen Morgen: „Als die ersten Schüsse ins Dorf fielen, spannte ich in großer Eile unser Pferd vor den Wagen. Ebenso eilig hatten wir unsere Betten und einigen schnell zusammengerafften Hausrat aufgeladen. Wir öffneten die Stalltüren, um die Schweine auslaufen zu lassen. Mein Schwiegersohn, Ernst Allermann, brachte das Vieh auf die Weide."

Gegen 08.00 Uhr begann der Kampf um Jarlingen mit einem entscheidenden Fehler der SS-Grenadiere: Sie eröffneten das Feuer mit ihren Gewehren auf mehr als 100 Meter. Die britischen Panzer und Aufklärer stoppten und begannen die Ortschaft mit Brandgranaten zu beschießen. Ein Gebäude nach dem anderen fing Feuer. Gegen Mittag waren es 39. (...) Im brennenden Jarlingen wurden mit Panzerfäusten ein „Sherman" und ein Spähwagen abgeschossen. Dabei fielen Sergeant Atkins und ein Panzersoldat. (...) Von dem SS-Zug waren sieben Mann gefallen. Die beiden ältesten von ihnen waren 19. Von den anderen fünf waren einer 17, und vier 16 Jahre alt. Sie wurden auf dem Friedhof Borg beigesetzt.

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Als die Panzer an diesem heißen Frühlingstag die Warnau erreichten, fanden sie die Brücke gesprengt vor. So rollten sie über die kleine Holzbrücke an der Mühle nach Benefeld und in das große Werk hinein. Niemand hatte gedacht, dass diese kleine Brücke die tonnenschweren Panzer tragen würde. Wahrscheinlich war dies unser aller Glück, denn der schnelle Übergang hat die Pulverfabrik und die Dörfer der anderen Uferseite sicher vor einer längeren Beschießung bewahrt.

Zu der Zeit lebten etwa 3000 Deutsche und 16000 Dienstverpflichtete und Kriegsgefangene in Benefeld und Bomlitz [es waren eher 6000 bis 7000 Fremd- und Zwangsarbeiter].

Beim Endkampf in der Heide und auch in Benefeld/Bomlitz waren Soldaten der 12. SS Division "Hitlerjugend" beteiligt. (...) Die Division wurde Ende 1943 aufgestellt. Die Soldaten waren 17 bis 20 Jahre alt und bestanden ausschließlich aus Hitlerjugendführern. Sie wurde geführt von alten Frontsoldaten, die alle Schlachten des Krieges mitgemacht haben.

Von Berlin war kurz vor der Besetzung der Befehl an die Werksleitung gekommen, alle Anlagen zu sprengen. Dieser Befehl wurde nicht ausgeführt.

Am frühen Morgen des 16. April flog die Warnaubrücke in die Luft. Es gab eine riesige Erschütterung. In der Uferstraße gingen einige Scheiben zu Bruch. Dann wieder Stille. Ab und zu hörte man ein Maschinengewehr ballern. Dann wieder Stille. Aus Richtung Jarlingen ertönte der Abschuss von Kanonen. Später erfuhren wir, dass unsere Soldaten von der Brücke dort den Engländern eine erbitterte Schlacht lieferten.

Wir wagten uns vor den Luftschutzkeller. Uns war nicht bewusst, dass wir ihn zum letzten Mal verließen. Ein herrlicher Frühlingstag hatte begonnen. Aus der Ferne hörte man das auf- und abschwellende Geräusch von Motoren. Ich lief zur Hauptstraße. Sie waren da! Englische Panzer rollten Richtung Bomlitz. Gefangene deutsche Soldaten saßen unter den Geschütztürmen und wurden von den herumlaufenden Ausländern bespuckt. Die freigewordenen Kriegsgefangenen schleppten volle Mehlsäcke aus der Mühle und fingen des Müllers Hühner. Sie drangen in die Häuser ein und nahmen Fahrräder und Radios mit. Ich aber hatte nur einen Gedanken: Warum wurde die kleine Holzbrücke nicht gesprengt; als ob wir dadurch die Besetzung verhindern hätten können.

Andrea Hesse: Prädikat „Bestbetrieb“ – die Eibia GmbH für chemische Produkte in Bomlitz.

Am Vormittag des 16. April 1945 marschierten englische Truppen in Bomlitz ein, von der ausländischen Arbeiterschaft mit Jubel begrüßt. Etwa 600 Arbeiter aus dem Ausland, wahrscheinlich vor allem Polen und Männer aus der Sowjetunion, vor deren Rache man sich am meisten fürchtete, wurden in unterirdische Fabrikstollen gebracht, wo sie am besten bewacht werden konnten.

Zur gleichen Zeit nutzten einheimische SS-Leute die allgemeine Unruhe und Orientierungslosigkeit dazu, den Konsumverein in Benefeld zu plündern, während deutsche Soldaten Werkskantinen überfielen und die vorhandenen Lebensmittel an sich brachten. Auch der Hof Nonnenwald in Benefeld wurde noch am 16. April überfallen und ausgeplündert.

Ulrich Saft: Krieg in der Heimat. Das bittere Ende zwischen Weser und Elbe.

Die Briten kamen noch am selben Tage über Ahrsen und Löverschen bis dicht vor Soltau. In den frühen Abendstunden wurde Jarlingen von britischer Infanterie besetzt. Vermutlich war es das 9. Bataillon des bisher nicht eingesetzten Regiments „Durham Light Infantry". Frau Elli S. berichtet in der bereits zitierten Dorfchronik: „Ein Teil von diesen Soldaten übernachtete auf unserem Hof. Die Haltung der Engländer war einwandfrei. Am nächsten Tag rückten sie wieder ab, und wir haben seither keine Besatzung mehr gehabt." Am 16. April waren nach der Besetzung von Jarlingen die Kampfhandlungen im Raum Walsrode-Fallingbostel beendet. Dennoch ruhen neben den SS-Soldaten auf dem Friedhof in Borg sieben weitere Soldaten, die als “unbekannt" gelten. Auch sie sollen am 16. April gefallen sein.

 

Dienstag - 17.04.1945

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Am Morgen des 17. April übergab Firmenchef Dr. Gerd Wolff vor den Werkstoren in Bomlitz das Rüstungswerk Wolff/Eibia. Die Produktion wurde eingestellt, 16000 Fremdarbeiter waren frei. Alle Deutschen waren vogelfrei. Die Kampftruppen hatten zunächst anderes zu tun, als sich um die deutsche Zivilbevölkerung zu kümmern. Noch eine Woche waren wir im unmittelbaren Kampfgebiet. Die 16- bis 18-jährigen Marine- und SS-Soldaten verteidigten fanatisch Kettenburg und Visselhövede.

 

Mittwoch - 18.04.1945

Alfred Keseberg: Uetzingen. Hunenburg und Loingo.

Am 18. April 1945 besetzte englisches Militär den Ort [Uetzingen] und blieb bis Mitte September.

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Am 18. April schien es so, als ob der Kampflärm wieder näher käme und ich hoffte in meiner Gläubigkeit, dass wir wieder befreit würden. Doch dann wurde der Kanonendonner immer schwächer und verstummte dann endgültig.

 

Ende April 1945

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Noch einige Tage hörten wir heftigen Geschützdonner. Doch für uns war der Krieg zu Ende. Gewohnheitsmäßig verdunkelten wir des Nachts immer noch die Zimmer, bevor wir Licht anmachten. Gewohnheitsmäßig grüßte ich noch oftmals mit "Heil Hitler", wenn ich einen Nachbarn traf.

Ortschronik Fallingbostel in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Am 22. April werden die Kriegsgefangenen im Oerbker Lager freigelassen. Viele von ihnen ziehen in Trupps durch die Gegend von Hof zu Hof, von Haus zu Haus. Dabei kommt es oft zu wüsten Plündereien, an denen sich aber Franzosen und Engländer selten, nur einzelne, beteiligen. Französische Kriegsgefangene, die hier bei vielen Leuten in Arbeit waren, zeigen sich oftmals als Beschützer von Leben und Eigentum ihrer Wirtsleute und deren Nachbarn. Englische Soldaten werden oft zu Hilfe herbeigerufen. Auch Italiener sind den Bedrängten oft Schutz und Hilfe.

Am 23. April wird das KZ-Lager Belsen geöffnet. In ihrer blauweißen Kleidung streifen die Freigelassenen in Scharen bei uns herum.

Hans Steinbeck: Jugend in schwerer Zeit – Benefeld/Bomlitz 1939-1949.

Am 30. April verstummte auch der Deutschlandsender. Einen Tag später meldete Radio Hamburg, dass „der Führer auf seinem Befehlsstand in Berlin, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, gefallen sei". Ich war zutiefst bestürzt und betrachtete dies als ein großes Unglück. Nun schien auch mir alles verloren. Ich fühlte keine Befreiung. Ich empfand die Vorgänge als entsetzlich, schmachvoll für alle.

Am Ortseingang von Jarlingen stand ein abgeschossener englischer Spähwagen. Die meisten Häuser waren zerstört, es roch nach Rauch und einige Ruinen schweltennoch. Ich traf einen Klassenkameraden, der mir folgendes berichtete: Sein Elternhaus war verschont geblieben, es war aber vollgestopft mit Nachbarn, die abgebrannt waren. Als die SS-Soldaten am 16. April nach Jarlingen kamen, nachdem sie die Brücke zwischen Cordingen und Benefeld gesprengt hatten und sich zur Verteidigung einrichteten, sind die meisten Jarlinger Familien in den Warnauwald gegangen. Dem Wald in dem wir im Krieg oft Geländespiele gemacht und Deckung nehmen geübt hatten. Als es ruhig wurde, sind sie nach Jarlingen zurückgekehrt und haben versucht, zu löschen, was noch zu löschen war. Sie haben 7 tote deutsche Soldaten gefunden, ihnen die Erkennungsmarken abgenommen und sie im nahen Wald in Zeltplanen beigesetzt. Ich setzte meinen Weg zum Jarlinger Bahnhof nicht fort, sondern ging nach Hause berichtete meiner Mutter vom Verlust unseres letzten Fahrrades und was ich in Jarlingen gehört und gesehen hatte. Wir erfuhren am nächsten Tag, dass die beiden Güterwagen Säcke mit Zucker, sowie Dosen mit Sauerkraut und Tomatenmark enthalten hatten. Es soll zu Prügelszenen um die Beute gekommen sein, dabei seien viele Säcke mit Zucker aufgegangen und der Zucker auf dem Bahnsteig zerstreut sein.

Otto Marquardt in Doris von der Brelie-Lewien: „Dann kamen die Flüchtlinge“.

Der Truppenübungsplatz Belsen ist uns allen ein feststehender Begriff. Dass sich auf diesem Übungsplatz ein Konzentrationslager befunden hat, ist der Bevölkerung unbekannt gewesen. Ich habe zum ersten Mal von diesem KZ gehört, als wenige Tage vor dem Zusammenbruch eine Äußerung des Landrats Backhaus durchgegeben wurde, wonach es große Sorge bereite, die 40.000 KZ-Häftlinge abzutransportieren, weil es an Transportmaterial fehle. Jetzt erfahren wir schaudernd, was sich alles in unserer nächsten Nähe abgespielt hat.

Die von den Franzosen verlassenen Baracken werden durch Polen und Russen wieder voll besetzt, die aus der ganzen Gegend jetzt hier zusammenströmen. Ich bin täglich mehrere Male in den Baracken und versuche, eine gewisse Autorität aufrechtzuerhalten. Ich bin mir aber darüber klar, dass alle diese Bemühungen auf schwachen Füßen stehen, weil jede Machtbefugnis fehlt.

Die Woche bis zum 28. April vergeht mit unwürdigen Drangsalierungen der Bauern in Jarlingen, Borg, Hünzingen und Umgegend. Die Bauern verlieren z. T. ihre letzte Habe und müssen die niederdrückende Tatsache hinnehmen, dass sie vollkommen ohne Recht und vor allen Dingen ohne jede Autorität alles über sich ergehen lassen müssen. Die Russen sind inzwischen schwer bewaffnet, spielen mit den Pistolen und schießen auch, um die Bewohner einzuschüchtern, Löcher in die Wand. Sie treiben meistens alle Bewohner in einem Zimmer zusammen, um dann das Haus leer zu machen.

Am Sonntag Nachmittag beerdigen wir die 6 in Cordingen gefallenen Soldaten. Sie waren zuerst oberflächlich dort eingescharrt, wo sie gefallen waren, und zwar in der Mitte der Straße Walsrode-Cordingen zwischen dem Bauern Otto Hogrefe und der Straße Benefeld-Cordingen. Wir haben sie dann in dem Busch beerdigt, der an dem Wege liegt, der an dem alten Flakturm an dem Schienenstrang vorbeiführt.

Pastor Gerhard nimmt die Trauerfeier vor und der Eindruck ist sehr feierlich. Die Beteiligung ist sehr groß. Man hat den Eindruck, dass die ganze Gemeinde gekommen war, wenn die Not der Zeit nicht dazu zwingen würde, dass auf jedem Hof mindestens ein Mann zurückbleiben muss.

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